Warum hören nicht gleich verstehen ist

Latest Posts  •   29. Juni 2015

„Bin ganz Ohr” sagen Sie noch, während ein anderer bereits “die Ohren auf Durchzug stellt.”

Wenn Sie “die Flöhe husten hören”, machen Sie sich auf etwas Tolles gefasst. Und wer “die Ohren spitzt”, hört aufmerksam zu.

Unsere Sprache hat viele Begriffe für das Hören. Häufig verwenden wir sie im übertragenen Sinne.
Denn ein “Ohrwurm” hat zum Glück nichts mit Kriechtieren zu tun und ein “Ohrenschmaus” ist nicht essbar.

Über Kinder sagen wir häufig “Das Kind hört nicht”. Aber stimmt das so? Oder könnte es sein, dass das Gehirn dieser Kinder nicht “hört”?

Zumindest bei Kindern mit einer auditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung, kurz AWVS, (auch auditive Verarbeitungsstörungen oder AVS) genannt, ist dies der Fall. Im Gehirn dieser Kinder liegt eine Beeinträchtigung vor, Laute, z.B. der gesprochenen Sprache, zu erkennen und zu verstehen.

Bis zu 5% aller Kinder sind von AVWS betroffen. Das Hörorgan selbst ist dabei nicht beinträchtigt. Vielmehr fällt es Kindern mit dieser Störung schwer, die gehörte Information richtig zu verarbeiten.

Man geht davon aus, dass die vom Ohr aufgenommene Information auf dem Weg zum Gehirn durcheinander gerät und infolge dessen anders verstanden wird. Es ist also das Gehirn, das etwas anderes “hört” und dadurch eine Diskrepanz zwischen dem Gesagten und dem Verstandenen erzeugt.

Ich persönlich kam mit dieser Störung zum ersten Mal nach der Einschulung meiner Tochter Emma in Berührung. Emma hatte bereits in den ersten Schuljahren große Probleme beim Lesen- und Schreibenlernen und konnte sich nur schwer konzentrieren.

Glücklicherweise las ich zeitgleich die Biografie des französischen Schauspielers Gerard Depardieu. Auch Depardieu hatte als Schüler viele Probleme und erst die Arbeit mit einem gewissen Dr. Mozart erlaubte es ihm, zu dem erfolgreichen Schauspieler zu werden, den wir heute kennen. Darüber habe ich in meinem Buch “Was Eltern über die Entwicklung ihres Kindes lernen sollten” bereits berichtet.

Dr. Mozart hieß eigentlich Dr. Alfred A. Tomatis und war ein französischer Arzt. Er wurde 1920 in Nizza geboren und praktizierte zunächst als HNO-Arzt in Paris. Einen bedeutenden Teil seiner Forschungsaktivität widmete er der Untersuchung der Beziehungen zwischen Gehör und Stimme und zunehmend auch der Beziehung zwischen Zuhören und Kommunikation. Er stellte fest, dass eine Nachricht zwar konkret gehört aber auf anderer Ebene schlecht verarbeitet werden kann. Auch konnte er zeigen, dass unsere Stimme nur die Frequenzen enthält, die unsere Ohren hören können. Damit konnte er als erster den engen Zusammenhang zwischen Hörwahrnehmung und sprachlich-klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten beweisen.

Seine Entdeckungen führten ihn zur Gründung einer neuen multidisziplinären Wissenschaft, der Audio-Psycho-Phonologie (APP). Mit dem Begriff APP sollte der Zusammenhang von Hören, psychischer Verarbeitung und Kommunikation berücksichtigt werden. Heute ist diese Methode überwiegend als Tomatis-Methode bekannt.

Die Tomatis-Methode ist eine spezielle Hörkur in der mit Hilfe eines speziellen Gerätes (dem “Elektronischen Ohr”) die Hör- und Klanganalysefähigkeit verbessert werden soll. Dem Ohr werden über Kopfhörer speziell aufbereitete Klänge geboten, deren Zusammensetzung die Muskeln des Ohres optimal reizt und damit trainiert.

Die Klänge werden also durch das Tomatis-Verfahren in ihrer Frequenz so verändert, dass sie genau die Bereiche der Wahrnehmung stimulieren, in denen der Klient Schwierigkeiten hat. Nach einer bestimmten Zeitdauer führt diese “Mikrogymnastik” der Mittelohrmuskeln zur endgültigen Verbesserung des Gehörs und aller damit verbundenen Fähigkeiten.

Wenn man dem Ohr die Möglichkeit gibt, nicht mehr oder kaum noch wahrgenommene Frequenzen wieder korrekt zu hören, lässt sich das Hören, bzw. Zuhören (mit all seinen emotionalen Komponenten) dauerhaft ausgleichen und verbessern.

Es wird also nicht nur das Hören selbst, sondern auch Sprache, Kommunikation, Konzentration und die Persönlichkeitsentwicklung verbessert.

Das lässt sich im Fall von Emma sehr schön verdeutlichen. Geht man davon aus, dass Emma die gesprochenen Laute der Sprache nur schwer verstehen konnte – etwa weil sie für sie sehr ähnlich klangen – wird es verständlich, dass sie in der Schule Schwierigkeiten hatte, den überwiegend verbal vermittelten Inhalten des Unterrichts zu folgen. Natürlich fiel es ihr beim Lesen und Schreiben schwer, Wörtern die richtigen Laute bzw. Buchstaben zuzuordnen. Da Emma den Unterschied zwischen “Hand”, “Sand”, “Band” oder “Pfand” nicht richtig hören konnte, fiel es ihr natürlich schwer, den Buchstaben zu finden, der zu “*and” passt. Die Aufforderung, „Hör mal genau hin!“ hilft da relativ wenig. Und selbstverständlich erforderte es von ihr ein Mehr an Konzentration, in einer solchen Situation zum richtigen Ergebnis zu gelangen. Ihre Aufmerksamkeit war ständig bis aufs äußerste strapaziert.

Das macht müde und frustriert und führt zu Lernschwierigkeiten, Konzentrationssörungen und Verhaltensauffälligkeiten.

Mit dem Abschluß einer Hörkur nach Tomatis konnten Emmas Hörwahrnehmung – und gleichzeitig alle damit verbundenen Fähigkeiten – ausbalanciert werden.

Ihre Wahrnehmungsverzögerung wurde vollständig aufgehoben. Ihr Konzentrationsvermögen und  Sprachverständnis verbesserten sich und damit auch ihre Lernleistungen allgemein stiegen an.

Noch heute bin ich froh, dass ich beim Lesen von Depardieus Biografie damals “die Ohren gespitzt habe”.

2020-04-27T10:22:50+00:00Juni 29th, 2015|

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