Warum Bewegung die beste Therapie für ADHS ist
Latest Posts • 20. April 2015
In letzter Zeit höre ich den Begriff ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) immer häufiger, wenn ich mich mit Eltern unserer Modern Music School Schüler unterhalte.
Da immer mehr Kinder und Jugendliche mit ADHS diagnostiziert werden, ist dies keineswegs überraschend. Berichten des amerikanischen Center for Disease Control zufolge sind die Zahlen von 7,8 Prozent im Jahr 2003 auf 9,5 Prozent im Jahr 2007 und auf ganze 11 Prozent im Jahr 2011 gestiegen. Das ist ein Anstieg von 16 Prozent in weniger als einem Jahrzehnt.
In Deutschland veröffentlichte die Barmer Ersatzkasse einen Arztreport zu ADHS. Auch diese Ergebnisse zeigen einen klaren Anstieg der Diagnoseraten zwischen 2006 und 2011. Innerhalb dieser Jahre ist die Zahl um 49 Prozent auf insgesamt 750.000 Menschen angestiegen.
Wie ist es möglich, dass einem so großen Anteil von Kindern heutzutage eine Krankheit oder psychische Probleme attestiert werden?
Ein hoher Prozentsatz dieser Kinder wird darüber hinaus mit stimulierenden Medikamenten behandelt, die nicht ungefährlich sind und starke kurz- wie langfristige Nebenwirkungen haben können.
Warum wollen wir Kindern diesen Stempel heutzutage so schnell aufdrücken?
Wir sollten damit viel vorsichtiger sein. Kindern eine psychische Erkrankung zu attestieren, sollte ein letzter Ausweg sein, besonders dann, wenn es zu einer langfristigen Einnahme von Medikamenten mit unerwünschten Nebenwirkungen führt.
Glücklicherweise gibt es viele Experten, die aufgrund dieser alarmierenden Zahlen stutzig werden. Sie hinterfragen, ob wir ADHS überdiagnostizieren und unsere Kinder mit Medikamenten, die sie nicht brauchen, im wahrsten Sinne des Wortes misshandeln.
Einer von ihnen ist Dr. Jerome Groopman, Professor an der Harvard Medical School of Medicine. Er sagt: „Wenn Kinder nicht ruhig sitzen können, wird dies als krankhaft und abnormal angesehen und nicht einfach als normale Kindheit.“
Auch Dr. William Graf ist dieser Meinung. Der Kinderneurologe aus New Haven und Professor an der Yale School of Medicine behauptet, „Wir diagnostizieren milde Symptome allzu schnell, was weit über die Störung hinausgeht und übertrieben ist; hier sollen Kinder geheilt werden, die eigentlich gesund sind.”
Interessant ist auch die überwältigende Reaktion auf eine Reihe von Artikeln von Angela Hanscom (Ergotherapeutin für Kinder und Gründerin der TimberNook – ein Natur-basiertes Entwicklungsprogramm in Neuengland), die in der Washington Post erschienen sind. Ihre Artikel stießen auf großes Interesse bei Eltern, die auf der Suche nach wirksamen, nicht-medikamentösen Alternativen für ihre Kinder waren. (Die Artikel von Hanscom aus der Washington Post können Sie hier, hier and hier. lesen.)
In ihren Artikeln weist Hanscom darauf hin, dass Kinder in der Schule gezwungen sind, lange Zeit still zu sitzen, was bei vielen dazu führt, dass sie sich nicht konzentrieren und lernen können.
Sie sagt, dass Kinder, die sich nicht mehr richtig austoben können, die Fähigkeit zum Lernen verlieren. Um sich konzentrieren und lernen zu können, benötigen Kinder Ausdauer, einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn und ein gesundes Wahrnehmungssystem und um diese zu entwickeln, müssen sie sich spielerisch bewegen dürfen.
Kinder müssen auf Bäume klettern, Kopfstand machen, sich im Kreis drehen und Hügel runterrollen dürfen. Genau diese Bewegungen stimulieren den Gleichgewichtssinn – das so genannte vestibuläre System – und führen zur Entwicklung eines gesunden Wahrnehmungssystems.
Das wirkt sich mit der Zeit auch auf die Konzentrations- und Lernfähigkeit aus.
Hanscom vermutet, dass das eigentliche Problem darin liegt, dass Kinder sich fast nur noch in einer aufrechten Haltung befinden. In den USA gehören Karusselle und Wippen inzwischen der Vergangenheit an. Pausenzeiten werden aufgrund steigender Leistungsanforderungen verkürzt und die Ängste von Eltern, Haftungsfragen und ein immer hektisch werdender Alltag führen dazu, dass Kinder nur noch selten draußen spielen.
Kinder mit einem gestörten Wahrnehmungssystem, schlechtem Gleichgewichtssinn und schwach entwickeltem Muskeltonus können in der Schule keine guten Leistungen erbringen. Und ganz sicher sind sie auch nicht in der Lage aufmerksam zu sein und lange still zu sitzen. Anstatt diesen Kindern ein Aufmerksamkeitsdefizit oder ADHS zu bescheinigen, schlägt Hanscom vor, ihr Verhalten lieber als Hinweis darauf zu verstehen, dass sie nicht genug Bewegung bekommen. „Damit Kinder lernen können, müssen sie aufmerksam sein. Damit sie aufmerksam sein können, müssen wir ihnen erlauben, sich zu bewegen.”
Eine Pille zu schlucken ist einfach. Alternative Methoden für den Umgang mit schwierigen Kindern erfordern etwas mehr Aufwand – wie z. B. eine neue Lernumgebung oder ein veränderter Erziehungsstil, damit körperliche Aktivität und Bewegung gefördert werden.
Heinrich Hoffman beschreibt in seinem „Zappelphilipp“ aus dem Jahre 1845 einen Jungen, der so unruhig ist, dass er beim Abendbrot nicht still sitzen kann und auf dem Stuhl hin- und herrutscht. Einmal hält er sich an der Tischdecke fest und alles, was sich darauf befindet, landet auf dem Boden.
Die Geschichte vom Zappelphilipp beschreibt etwas, das wir heute als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bezeichnen – damals war Philipp einfach „ungezogen“.
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